UN-Kinderrechte: Grundpfeiler oder Nice-to-have?

Shownotes

In dieser Folge des Podcasts „Stadtvisionen – jung gedacht“ spricht Aline Fraikin mit Claudia Kittel, Leiterin der Monitoring-Stelle zur UN-Kinderrechtskonvention beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Die Konvention, die 1989 verabschiedet wurde, entstand aus der Erkenntnis, dass politische Entscheidungsträger:innen Kinder und Jugendliche oft übersehen und ihre Perspektiven und Meinungen außen vor bleiben. Bahnbrechend war, dass sie über reine Schutzrechte hinaus auch Beteiligungsrechte sowie das Recht auf besondere Leistungen für Kinder umfasst.

In Deutschland ist die UN-Kinderrechtskonvention seit ihrer Ratifizierung 1992 bindendes Recht, vergleichbar mit Bundesgesetzen wie dem Strafgesetzbuch. Ein zentrales Problem ist jedoch, dass dies nicht allen Rechtsanwender:innen ausreichend bekannt ist und Völkerrecht oft fälschlicherweise als „Nice-to-have“ angesehen wird. Deutschland muss alle fünf Jahre einen Rechenschaftsbericht vor den Vereinten Nationen abgeben und erhält dabei ein „Hausaufgabenheft“ mit Empfehlungen für Problembereiche.

Aktuelle Hauptproblembereiche für Deutschland sind laut UN-Ausschuss die Gewaltprävention, die Situation von Kindern in alternativer Betreuung (z.B. Pflegefamilien), die inklusive Bildung, die Unterbringung asylsuchender und geflüchteter Kinder sowie die Werbung der Bundeswehr an unter 18-Jährige. Eine große Baustelle bleibt das Fehlen einer zentralen, kindgerechten Beschwerdestelle – das „Klingelschild“, an das sich Kinder bei Rechtsverletzungen wenden können, fehlt weiterhin und ist kein kindgerechtes Format.

Die Monitoring-Stelle, die Kittel leitet, erklärt die Inhalte der Konvention, beobachtet deren Umsetzung und teilt Erkenntnisse mit den Vereinten Nationen sowie der Bundesregierung, um die Verwirklichung der Kinderrechte zu verbessern. Obwohl politische Prozesse oft langwierig sind, gab es Fortschritte, wie die Einrichtung der Monitoring-Stelle selbst oder die beispielhafte Umsetzung in Hessen durch Verankerung in der Landesverfassung und Schaffung von Kinderbeauftragten. Der Bekanntheitsgrad der Kinderrechte in Deutschland steigt, ist aber noch nicht gut genug; Schulen und Kitas spielen dabei eine wichtige Rolle. Kittel betont, dass Deutschland von seinen „Maximum Available Resources“ (maximal vorhandenen Möglichkeiten und Mitteln) für Kinder noch weit entfernt ist und es hier noch viel Luft nach oben gibt.

Weiterführende Links:
Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags
Monitoringstelle der UN-Kinderrechtskonvention
Buchempfehlung: "Kinder - Minderheit ohne Schutz"

Produktion:
Koproduktion der Städte Mannheim, Köln und des Berliner Bezirks Pankow
Redaktion: Jürgen Brecht, Anica Latzer-Schulte und Aline Fraikin
Produktion und Technik: Medienkompetenzzentrum Mitte
Jingle und Schnitt: Dylan White
Cover: Maja Luna Neumann

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Podcast Stadtvisionen – Claudia Kittel

CK: Für das, was wir machen, braucht man langen Atem. Also Politik ist manchmal unfassbar schwerfällig und es dauert unheimlich lange, bis Dinge sich bewegen.

AF: Hallo und herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen, zu unserer neuen Folge des Podcasts Stadtvisionen jung gedacht.

In der Podcast-Reihe wollen wir einen Blick auf die Rechte von Kindern in unserem Land werfen. Gemeinsam mit spannenden Gästen schauen wir dafür, was wir in unseren Städten und Landkreisen tun können, damit Kinder und Jugendliche in einer Umgebung aufwachsen, die ihre Bedürfnisse ernst nimmt und die ihnen ein gutes Leben ermöglicht. Eine kleine Anmerkung vorab, ihr werdet es gleich merken, wir hatten leider bei der Aufnahme einige technische Schwierigkeiten.

Das betrifft aber nur die ersten Minuten der Folge. Ich bitte euch darum Nachsicht und wünsche euch trotzdem ganz viel Spaß bei der Folge. Nachdem wir in den letzten Folgen immer wieder auf die UN-Kinderrechtskonvention zu sprechen kamen, wollen wir uns heute einmal intensiver mit ihr auseinandersetzen.

Als meine Interviewpartnerin zu diesem Thema begrüße ich eine der kompetentesten Expertinnen, die wir in Deutschland dazu haben. Herzlich willkommen, Claudia Kittel. Frau Kittel, Sie arbeiten in Berlin beim Deutschen Institut für Menschenrechte und leiten dort die Monitoring-Stelle zur UN-Kinderrechtskonvention.

Bevor wir jetzt gleich über Ihre Aufgaben dort sprechen und was die Stelle eigentlich so macht, lassen Sie uns erst einmal einen Blick auf die UN-Kinderrechtskonvention werfen und schauen, wo hat diese UN-Kinderrechtskonvention eigentlich ihre Wurzeln, also seit wann gibt es sie und was war eigentlich damals der konkrete Anlass und die Zielsetzung der UN, diese Konvention für Kinder ins Leben zu rufen?

CK: Ja, hallo, herzlichen Dank für die Einladung. Ja, die UN-Kinderrechtskonvention, die ist 1989 verabschiedet worden von der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Das ist schon eine ganze Weile her.

Sie hatte sogar eine noch längere Vorgeschichte. Weitere zehn Jahre hat man an dem Entwurf für diese Konvention gearbeitet. Das, was der Ursprung war, war die international einhellige Erkenntnis, dass von politischen EntscheidungsträgerInnen die Kinder und Jugendlichen oftmals schlichtweg übersehen werden, dass ihre Perspektiven und Meinungen außen vor bleiben.

Und es gab schon Vorläufer von der Konvention, aber die hatten alle den Schutz von Kindern im Fokus. Und das war der Blick, den man hatte und da gab es sehr viele internationale Kinderorganisationen, also die für Kinder und Jugendliche gearbeitet haben, die gesagt haben, das geht uns nicht weit genug. Wir wollen, dass Kinder auch noch viel mehr wahrgenommen werden mit ihren eigenen Interessen und ihren ganz eigenen kind- oder jugendbezogenen Bedürfnissen von den Staaten.

Und das war das Bahnbrechende an dieser Konvention 1989, sehr wahrscheinlich auch der Grund, warum man so lange vorher an dem Entwurf gebastelt hat. Denn da sind nicht nur die Schutzrechte von Kindern drin, sondern auch Beteiligungsrechte und Rechte, dass ein Staat Kinder und Jugendliche besonders in den Blick nehmen muss, besondere Leistungen für Kinder und Jugendliche bereithalten soll. Sie haben es gerade schon gesagt, da gab es intensive Auseinandersetzungen und ich stelle es mir sehr schwierig vor, mit so vielen verschiedenen Ländern am Ende mit einer gemeinsamen Konvention daraus zu kommen.

AF: Aber wenn wir den Blick auf Deutschland werfen und die Situation von Kindern in unserem Land, was denken Sie, welche Artikel sind aus Ihrer Sicht für uns die wichtigsten?

CK: Also als jemand, der sich mit Menschenrechten befasst, muss ich jetzt erstmal sagen, bei den Menschenrechten gibt es keine Hierarchie, es gibt also keine Rechte, die irgendwie wichtiger sind als andere Rechte, die man irgendwie so darüber stellt. Das ist auch bei den Kinderrechten so. Und was Deutschland angeht, bediene ich mich jetzt einfach bei einer Auswahl von Rechten, die hier besonders wichtig sind, die der Ausschuss für die Rechte des Kindes getroffen hat.

Und zwar muss Deutschland, weil Deutschland der Konvention 1992 beigetreten ist, also sie ist ratifiziert worden, sie ist in Kraft getreten, muss Deutschland alle fünf Jahre vor den Vereinten Nationen einen Rechenschaftsbericht abgeben, was die Regierungen, die jeweiligen Regierungen unternommen haben, damit die Kinderrechte in Deutschland noch besser verwirklicht sind. Und da gibt es so ein Berichtsverfahren mit Anhörungen, mit schriftlichen Berichten und so weiter. Und am Ende dieses Verfahrens kriegt die Regierung so eine Art Hausaufgabenheft von den Vereinten Nationen.

Und da stehen dann auch Dinge drin mit Empfehlungen, Problembereiche, wie man Kinderrechte noch besser verwirklichen könnte im Land. Und der Ausschuss macht nur Empfehlungen, der sagt also nicht, ihr müsst, sondern drückt das sehr diplomatisch aus. Und bei diesem Hausaufgabenheft gibt es immer unter Ziffer 4 die Areas of Main Concern, also die Hauptproblembereiche von dem jeweiligen Vertragsstaat.

Und da habe ich nochmal reingeguckt, bevor ich hierher gekommen bin. Und da hat der Ausschuss für Deutschland folgende Bereiche benannt. Er hat gesagt, ihr müsst mehr tun gegen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

Also wenn ich von Kindern rede, meine ich nach UN-Kinderrechtskonvention immer alle Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. So steht das in Artikel 1 der Konvention.

Der Ausschuss hat auch gesagt, Kinder, die in Alternative Care leben, also die außerhalb der Familie untergebracht sind. Das wären bei uns auch zum Beispiel stationäre oder ambulante Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder Pflegefamilien oder dergleichen. Da müsst ihr besser hinschauen, was deren Schutz, aber auch deren Beteiligungsrechte angeht.

Bildung ist ein riesengroßes Thema gewesen. Da hat der Ausschuss gesagt, Deutschland muss vor allen Dingen in puncto inklusive Bildung noch ganz schön was machen. Der ist auch sehr irritiert darüber, dass wir ein sogenanntes viergliedriges Schulsystem haben und Kinder mit Beeinträchtigungen anders beschult werden als jedes andere Kind in unserem Land.

Er hat gesagt, ihr müsst dringend schauen, dass Asylsuchende und geflüchtete Kinder und ihre Unterbringungsformen in den Blick genommen werden. Also sprich Gemeinschaftsunterkünfte. Dazu gibt es auch vielfach Studien in Deutschland, die das als „kein Ort für Kinder“ betiteln.

Also da sollen wir noch mal genauer hinschauen. Beziehungsweise die Regierung hat da Hausaufgaben bekommen. Und dass Deutschland Werbung in Schulen macht für die Bundeswehr.

Und das sieht er gar nicht gerne, denn da gibt es übrigens ein Zusatzprotokoll bei der UN-Kinderrechtskonvention. Und das heißt, die Konvention von 1989 mit ihren über 50 Artikeln, 54 sind es genau genommen, die ist noch mal fortgeschrieben worden, weil man gemerkt hat, es haben noch Bereiche gefehlt. Und das hat man in sogenannten Zusatzprotokollen festgelegt.

Und eines davon betrifft Kinder in bewaffneten Konflikten. Und das war das Zweite, das hat Deutschland auch ratifiziert. Und da gibt es die ganz klare Grenze, „Straight 18“ heißt es da immer.

Also keine Rekrutierung unter 18, kein Dienst an der Waffe unter 18 und auch keine Werbung bei Menschen unter 18 für den Militärdienst.

AF: Ja, das ist spannend. Ich kenne das aus meinem Auslandsein in den USA, wo das total gängig war, dass die Bundeswehr da wirklich perspektivlose Jugendliche abgegriffen hat, kann man eigentlich wirklich so sagen.

Und war auch total irritiert zu erfahren, dass es das in Deutschland inzwischen auch gibt. Zu dem Berichtsverfahren kommen wir vielleicht gleich noch mal, wenn wir über ihren Tätigkeitsbereich reden. Aber Sie haben gerade erwähnt, dass Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert hat.

Und immer wieder ist in den Medien, wird die Debatte wieder gegeben, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Aber vielleicht können Sie noch mal klar sagen, was diese Ratifizierung heißt und welcher rechtliche Stellenwert mit dieser Ratifizierung einhergeht. Also ist die UN-Kinderrechtskonvention für Deutschland gerade ein Nice-to-have, an das man sich auf freiwilliger Basis halten kann? Oder ist es wirklich ein knallhartes Gesetz, wo auch Gesetzesverstöße geahndet werden?

CK: Es ist bindendes Recht. Die UN-Kinderrechtskonvention ist genauso bindend wie anderes Bundesrecht, also wie ein Kinder- und Jugendhilfegesetz, wie ein Strafgesetzbuch. Wir haben nur ein Problem, das wissen nicht alle RechtsanwenderInnen ausreichend. Und manche denken auch, Völkerrecht sei nice to have, haben sie jetzt eben gesagt, sei einfach so etwas, das nicht so bindend ist wie andere Gesetze.

Und das ist etwas, wo wir als Institut für Menschenrechte, bei dem wir als Monitoringstelle angesiedelt sind, durch Aufklärungsarbeit und durch Menschenrechtsbildung einfach noch dazu beizutragen, dass sich das ändert. Wenn man sich dieses Zustimmungsgesetz schaut, oder in das Bundesgesetzblatt, wo dann die Kinderrechtskonvention nochmal ausgeführt ist, da gibt es so eine Denkschrift anlässlich der Ratifizierung. Und da kann man so ein schönes Zitat lesen, dass die Bundesregierung das ratifiziert hat und aber keinerlei Anlass sieht, innerstaatliches Recht jetzt irgendwie anzupassen.

Also die Grundhaltung war damals so, ist doch alles bei uns schon umgesetzt. Und das ist sehr zeittypisch gewesen für den, heute sagt man globalen Norden, dass man gedacht hat, also so eine Völkerrechtskonvention, die richtet sich erst eher an Staaten, wo Kinder kein sauberes Trinkwasser haben und es keine Schulpflicht oder überhaupt Schulgebäude gibt. Aber diese Konvention enthielt auch einiges, was Kinder und Jugendliche in Deutschland oder in europäischen sogenannten Industrienationen betrifft.

Und das hat man dann gemerkt. Und dann musste man zum Beispiel eheliche und nicht-eheliche Kinder gleichstellen im Bürgerlichen Gesetzbuch. Das war bis dahin nicht der Fall.

Man hat auch später noch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung auf den Weg gebracht. Das wäre jetzt vermessen zu behaupten, diese Gesetzes seien wegen der Kinderrechtskonvention verabschiedet worden, aber die Konvention hat diesen Prozessen einem Rückenwind gegeben. Und da musste auch ein Land wie Deutschland doch noch innerstaatlich das eine oder andere anpassen.

AF: Wir hatten ja am Anfang erwähnt, dass Sie die Monitoringstelle zur UN-Kinderrechtskonvention beim Deutschen Institut für Menschenrechte leiten. Was konkret macht dieses Institut und was sind Ihre Aufgaben?

CK: Also das Deutsche Institut für Menschenrechte ist die nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands. Und das ist ein besonderer Status.

Das ist eine Institutionsform, die 1993 auf der Wiener Konferenz unter den Paris Principles nochmal genau ausformuliert wurde. Und das ist nicht Zivilgesellschaft und auch nicht eine staatliche Stelle, sondern eine unabhängige Stelle, die den Auftrag hat, die Menschenrechte zu schützen und zu fördern im jeweiligen Nationalstaat, im jeweiligen Vertragsstaat einer Konvention. Und wir als Monitoringstelle, Kinderrechtskonvention, also wir haben den Auftrag, die Verwirklichung der Kinderrechte kritisch zu beobachten und zu bewerten.

Wir würden auch sehr gerne datenbasiert die Kinderrechteverwirklichung messen. Das ist nur sehr schwierig, weil wir oft Daten nicht haben. Gleichzeitig die Daten aber auf Bundesebene, Landesebene oder den kommunalen Raum sich beziehen.

Das ist also auch ein Riesending. Und wir sind nur eine kleine Stelle mit vier Menschen, die da in Vollzeit arbeiten können. Was wir aber grundsätzlich als Auftrag haben und auch machen, ist, dass wir zum einen erklären, was in der UN-Kinderrechtskonvention drinsteht, sowohl an politisch Verantwortliche, als auch an Kinder und Jugendliche selbst oder Fachkräfte, die mit und für Kinder und Jugendliche arbeiten.

Wir beobachten die Verwirklichung der Kinderrechte. Ab und an eben auch datenbasiert, aber immer nur in so einzelnen Bereichen. Da nutzen wir Forschung, entweder die andere machen oder führen auch selber Forschung durch und berichten dann über die Situation von, ich nenne jetzt mal ein Beispiel, Kindern von Inhaftierten.

Die sind für viele Menschen überhaupt nicht wahrgenommen. Und wir haben dazu Erhebungen gemacht, haben alle Justizvollzugsanstalten im gesamten Bundesgebiet gefragt. Was haltet ihr für die Besuchszeit bei einem inhaftierten Elternteil für Kinder und Jugendliche bereit an Informationen, an Umgebung? Wir haben sehr spannende Ergebnisse dabei bekommen.

Und das, was wir dann rausfinden und was wir für Erkenntnisse haben, das teilen wir. Zum einen, und das haben Sie ja gerade schon erwähnt, mit den Vereinten Nationen und den Gremien dort, also dem Kinderrechteausschuss vor allen Dingen, der die Verwirklichung der Kinderrechte überwacht, in den jeweiligen Vertragsstaaten, aber auch mit anderen Ausschüssen zu anderen Konventionen, die ja auch manchmal den Blick auf Kinder und Jugendliche gut gebrauchen können, weil er nicht so selbstverständlich ist. Und wir teilen unsere Erkenntnisse mit der Bundesregierung, mit dem Parlament.

Wir sind im Gespräch mit Ministerien und mit ParlamentarierInnen und versuchen, Rat zu geben, wie man Kinderrechte noch besser verwirklichen kann.

AF: Das heißt, Sie sind auch die ÜberbringerInnen dieser Hausaufgabenhefte, die von den UN sozusagen an Deutschland gegeben werden?

CK: Ja, wir sind sozusagen, wie das zu Hause dann vielleicht manchmal ist, wenn die Eltern nerven und sagen, übrigens, hier gab es noch was zu tun, hast du die schon gemacht? Ein bisschen so in der Rolle sind wir dann unterwegs und fragen immer wieder mal ermahnend nach und machen Vorschläge, wie man sich daran machen könnte, diese Aufgabe endlich anzugehen. Und das machen wir auch nicht alleine, sondern das, und das ist total wesentlich, machen wir im Zusammenspiel mit Zivilgesellschaft.

Und da gibt es zu den Kinderrechten ein schon sehr altes, sehr lang gewachsenes, großes Bündnis von Kinderrechtsorganisationen, das Netzwerk Kinderrechte. Da sind über 100 Organisationen zusammengeschlossen. Und mit dieser Superpower an unserer Seite können wir da zusammen ermahnend auf die jeweiligen Regierungen zugehen oder die Landesregierungen an der einen oder anderen Stelle.

AF: Wie zufrieden sind Sie mit den Outcomes aus diesen ermahnenden Gesprächen, sage ich mal? Also haben Sie schon erlebt, dass wirklich auf Anlass dieser Hausaufgaben der UN sich in Deutschland auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene ganz konkret Sachen verändert haben?

CK: Das ist dann immer die Frage nach dem halb vollen oder halb leeren Glas. Es gibt natürlich für beides Beispiele. Ich kann vorab sagen, für das, was wir machen, braucht man einen langen Atem.

Ganz sicher, denn Politik ist manchmal unfassbar schwerfällig und es dauert unheimlich lange, bis Dinge sich bewegen. Wenn ich auf die Bundesebene schaue, dann gibt es uns als Monitoringstelle zum Beispiel aus dem vorletzten Staatenberichtsverfahren heraus, da ist es zum zweiten Mal angemahnt worden, ihr müsst unbedingt so eine unabhängige Monitoringstelle schaffen. Und das hat man gemacht.

Wenn ich jetzt auch eben gesagt habe, wir haben nur vier Vollzeitstellen und das könnte jetzt alles noch doller und größer, aber da ist das umgesetzt worden. Wenn ich auf die Landesebene schaue, dann sehe ich, dass beispielsweise Hessen die Verwirklichung der Kinderrechte sehr ernst genommen hat. Und der Ausschuss benennt immer sogenannte General Measures of Implementation.

Das sind so Strukturen, die es braucht, damit Kinderrechte mehr Durchsetzungskraft kriegen. Und der Ausschuss hat aus diesem internationalen Blick, den er hat, hat der Ausschuss natürlich einen guten Überblick, was sich bewährt hat. Und deswegen sagt er, Leute, ihr braucht sowas wie Kinderbeauftragte, ihr braucht eine Datenerhebung, die kinderrechtsbasiert ist, ihr braucht ein unabhängiges Monitoring und ihr braucht Beschwerdestellen für Kinder und ihr müsst die Kinderrechte mit Verfassungsrang ausstatten.

Und wenn ihr das macht, dann läuft es einfach besser. Das wissen wir schon aus den Berichten von anderen Staaten. Und Hessen hat das sehr ernst genommen.

Die haben erst mal die Kinderrechte mit ihren Schutzförder- und Beteiligungsrechten in die Landesverfassung aufgenommen. Dann haben sie das Amt einer eines Kinderbeauftragten, Kinderrechtebeauftragten ins Leben gerufen und vor einigen Jahren dann auch ein unabhängiges Monitoring gestartet und uns auch damit beauftragt, das für Hessen zu machen. Und das sind dann schon sehr erfreuliche Entwicklungen, nicht nur, weil wir das machen dürfen, sondern weil wir darüber viel besser Aussagen treffen können, wie bekannt überhaupt die Kinderrechte in Hessen sind.

Und was man machen könnte, um sie noch besser bekannt zu machen bei den verschiedenen Fachkräften. Und im kommunalen Raum ist das oft noch viel erfreulicher, weil es viel unmittelbarer im direkten Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen wirken kann, wenn was passiert.

AF: Und dennoch erlebe ich in meiner alltäglichen Praxis in einer Kommunalverwaltung oder im Bezirksamt, dass viele KollegInnen gar nicht so genau wissen, was die Kinderrechte sind.

Wie bindend die sind, dass die auch auf kommunaler Ebene umgesetzt werden müssen. Und dahingehend frage ich mich so ein bisschen, wie schätzen Sie so den Bekanntheitsgrad, vielleicht auch im Vergleich mit anderen Nationen, der Kinderrechte in Deutschland?

CK: Also mit dem Bekanntheitsgrad der Kinderrechte in Deutschland sieht es zunehmend besser aus, aber leider immer noch nicht gut genug. Wir haben zum Beispiel in Hessen das tatsächlich abgefragt.

Mit der Hessen Agentur zusammen und über 1.000 Kinder und Jugendliche befragt und auch Erwachsene, ob sie denn die Kinderrechte kennen. Und da haben wir immer so grob ein Viertel, das sagt, ich kenne mich damit ganz gut aus. Dann gibt es so einen großen Anteil von fast 60 Prozent, die sagen, na ja, eigentlich ehrlich gesagt, ich kenne es nur so vom Namen her.

Ich habe da also schon mal von gehört. Und dann so ganz bedenklich so 20 Prozent, die einfach noch nie davon gehört haben, also das bei Erwachsenen und Kindern ziemlich gleich. Wir haben festgestellt, oft wissen die Kinder sogar besser Bescheid und informieren ihre Eltern, weil wenn man dann fragt, wo hast du davon erfahren, dann ist die Schule beispielsweise der Vermittlungsort oder die Kita und die Eltern erfahren es dann oft über ihre Kinder.

Das ist zum Beispiel auch total spannend, weil das gibt einem dann Hinweis darauf, was man machen kann, damit beim nächsten Berichtsverfahren wir bessere Quoten nennen können vom Bekanntheitsgrad, also die Regierung sagen kann, bei uns kennen jetzt noch viel mehr Kinder ihre Rechte und auch erwachsene Fachkräfte. Und dann weiß man, okay, über Schule und über die Kinder und Jugendlichen können wir auch die Erwachsenen in der Gesellschaft erreichen. Perfekt, dann hat man einen guten Start, wie man loslegen kann.

Und diese Zahlen gibt es auch bundesweit. Ihr erhebt das Deutsche Kinderhilfswerk immer mal wieder regelmäßig. Da gab es auch schon mal kleine Einbrüche, aber es sind steigende Tendenzen, was den Bekanntheitsgrad angeht.

Und das Tolle ist ja, da spielt uns ja die Zeit zu. Wenn also Kinder vor zehn Jahren in der Schule von den Kinderrechten erfahren haben, sind sie heute informierte Erwachsene und können auch wieder Kinder und Jugendliche informieren. Und von daher bin ich da wohlgesonnen, dass das hoffentlich weiterhin noch besser wird.

AF: Okay, erfreuliche News. Sie tauschen sich ja auch im Rahmen ihrer Berichterstattung ab und zu mit den Menschenrechtsinstitutionen anderer Länder aus und informieren dann den UN-Kinderrechtsausschuss über die Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland. Was denken Sie, wie weit sind wir bisher gekommen? Wo hat es große Fortschritte gegeben in den letzten Jahren? Aber vielleicht auch noch mal zusammenfassend, was sind super wichtige Baustellen? Sie haben es gerade schon gesagt, Bildung ist beispielsweise ein Feld, wo wir noch besser werden können.

Und was würden Sie vielleicht auch für eine Zeugnisnote Deutschland verpassen im Vergleich zu anderen Ländern?

CK: Ja, das ist immer schwierig. Die Vereinten Nationen wollen nämlich auch in ihrem Staatenberichtsverfahren kein Ranking von Staaten machen. Also sprechen sie wirklich explizit dagegen aus.

Deswegen bitte ich jetzt auch um Verständnis, weil ich kein Ranking hier vornehme und diese Antwort jetzt ein bisschen schlabbere oder mich drum drücke. Im weltweiten Vergleich, das habe ich eben schon mal so kurz erwähnt. Wir haben natürlich nicht die Problematik, dass wir kein sauberes Trinkwasser haben, dass bei uns, das kann ich gar nicht so ganz sagen, dass es gar keine Kinder gäbe, die Hunger leiden müssen.

Aber wir haben grundsätzlich eine gute Grundversorgung. Deutschland ist ja ein Staat, der der beste Voraussetzungen, beste Rahmungen liefern kann. Aber jedes Land muss sich an seinen Möglichkeiten messen lassen.

Und das ist auch in der Kinderrechtskonvention enthalten in Artikel 4. Es gibt so eine schöne Formulierung, dass man die Maximum Available Resources zum Einsatz bringen soll, um Kindern und Jugendlichen den Zugang zu ihren Rechten zu gewährleisten. Und ich glaube, von den Maximum Available Resources, den maximal vorhandenen Möglichkeiten, Mitteln, die zum Einsatz zu bringen für Kinder und Jugendliche, sind wir, glaube ich, weit entfernt in Deutschland. Da ist wirklich noch viel Luft nach oben.

Und es gibt gerade auf den Bestsellerlisten ein Sachbuch von Aladdin El Malfalani, der jetzt die Kinder als eine zu schützende Minderheit bezeichnet mit seinen Kollegen, mit denen er dieses Buch gemeinsam herausgebracht hat. Und wenn man da noch mal die Schlussfolgerung sieht, was die Investitionen in Bildung und anderes angeht, ja, da haben wir also definitiv Luft nach oben. Das ist auch wirklich eine Grundsatzfrage, wo ich mir von der Regierung ein klares Bekenntnis wünschen würde, ganz eindeutig für Kinder und Jugendliche einzustehen und zu sagen, hier wollen wir bestmögliche Rahmungen schaffen.

Es ist tatsächlich ja in unserer Gesellschaft eine schwindende Gruppe, die Kinder und Jugendlichen, und die dürfen nicht aus dem Blick geraten.

AF: Dringende, dringende Lektürempfehlung. Ich habe das Buch auch gelesen und war ganz begeistert und schockiert zugleich.

Ich ändere meine Frage dann noch mal ein bisschen um und frage vielleicht, in welchem Land läuft es besonders gut? Wo findet eine maximale Ressourcenausschöpfung oder eine Priorisierung der Kinder als die Zukunft eigentlich auch statt?

CK: Ich kann keinen anderen Staat nennen. Ich kann nur berichten, dass ich jedes Jahr an einem Treffen der europäischen Ombudsleute für Kinderrechte teilnehme. Und da sind also die anderen europäischen Staaten zugegen.

Und die haben alle zum Beispiel so eine Beauftragtenposition auf nationaler Ebene oder haben Beschwerdestrukturen. Und da muss ich dann schon sagen, die beneide ich ein Stück weit. Also ich darf da als deutsche Vertreterin teilnehmen, als Leiterin einer Monitoring-Stelle, weil wir das andere nicht haben.

Die Regierung kann keine Beauftragtenposition entsenden. Sie kann auch keine Zahlenauswertung von einem Beschwerdemechanismus auf nationaler Ebene liefern. Ich weiß auch gar nicht, ob das genau das Modell für Deutschland wäre.

Aber das, was da sehr, sehr gut funktioniert, ist, dass durch diese Position und ein Amt, das sich einen genauen Überblick verschafft mit Beschwerden, die direkt von Kindern und Jugendlichen kommen, natürlich sehr viel leichter sagen kann, wo der Schuh drückt bei Kindern und Jugendlichen im Lande. Ich denke, dass wir in Deutschland da auch schon gute Strukturen haben. Und es einfach ganz wichtig wäre, dass wir gerade mit Blick auf den kommunalen Raum die Kinderbüros, die Kinderbeauftragten, die es teils ja auch hier in Berlin in Bezirksämtern gibt, dass wir das Wissen, das die einfach haben, weil sie direkt unmittelbar mit Kindern und Jugendlichen arbeiten und von denen hören, wo in der Stadt es Problemlagen gibt, beispielsweise Wege, die man als unsicher empfindet, die man meidet als Kind oder Jugendliche, Radwegplanungen und solche Dinge, dass wir da noch viel mehr ausschöpfen könnten, um dann auch für eine Bundesebene oder für eine Landesebene gute Empfehlungen machen zu können, wie noch besser die Kinderrechtskonvention umgesetzt werden könnte.

Und da kann man von den anderen Staaten ein Stück weit lernen, wie sie das machen. Da bietet die kommunale Ebene ja ein Stück weit eigentlich Vorteile, weil sie so sehr konkret aufzeigt, wo werden hier gerade die Kinderrechte missachtet und es Kinder- und Jugendhilfeausschüsse in den Bezirksparlamenten in Berlin gibt etc.

AF: Aber ich frage trotzdem noch mal, auch bezugnehmend auf das, was Sie gerade gesagt haben, was mache ich denn als junger Mensch, wenn ich merke, hier werden strukturell meine ratifizierten Kinderrechte gebrochen, weil ich glaube, es ist schon nicht ganz niedrigschwellig, sich da an Menschenrechtsjuristen zu wenden und den Rechtsweg zu beschreiten.

Passiert das trotzdem manchmal? Oder wenn es diese Beschwerdestelle nicht gibt, an wen kann ich mich als junger Mensch wenden?

CK: Ja, wir haben das auch mal vor vielen Jahren eine Regierung gefragt. Und da wurde uns geantwortet, es gibt ja Petitionsausschüsse auf Ebene der Länder und auch auf Ebene des Bundes. An die können sich ja auch Kinder und Jugendliche richten oder wenden. Ja, nur das wissen die meisten Kinder und Jugendlichen nicht. Ich würde auch mal behaupten, viele Erwachsene wissen gar nicht so genau, dass man so einen Petitionsausschuss anrufen kann. Das ist einfach kein kindgerechtes Format, um eine Beschwerde entgegenzunehmen.

Ja, das ist eine gute Frage, ist reine Glückssache, ob ich als Kind oder Jugendliche jemanden vor Ort habe, an den ich mich wenden kann. Wir hören sehr oft, wenn wir mit Kindern und Jugendlichen in Beteiligungsworkshops zusammenarbeiten, dass zum Beispiel Schulsozialarbeit hier eine riesengroße Rolle spielt, dass auch Schülervertretung genutzt wird im schulischen Kontext. Wir haben seit einigen Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe die neu eingeführten Ombudschaften Kinder- und Jugendhilfe, wo also Leistungsbezieherinnen aus der Jugendhilfe Beschwerden oder Anliegen anbringen können und das auch in einer kind- und jugendgerechten Art und Weise passiert.

Aber das ist ein so buntes, heterogenes Feld. Fachkräfte sind teils überfordert, zu sagen, wo die richtige Anlaufstelle ist, an die ich mich wenden kann. Kinder und Jugendliche erst recht.

Ich erinnere, dass wir vor einigen Jahren Besuch von der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zum Gewaltschutz von Kindern und Jugendlichen hatten. Sie hat sich zu dem Thema mit vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen ausgetauscht. Sie hat auch die Rolle des Jugendamtes verstanden und auch gelobt, dass man sich da als Kind, auch ohne das Wissen der Eltern, Beratung suchen kann, tolle Entwicklung.

Das fand sie ganz super toll. Aber dann hat sie gesagt am Ende nach all diesen Gesprächen, liebe Leute, ich weiß immer noch nicht, wo man als Kind hingehen soll, wenn die Rechte verletzt sind bei euch hier in Deutschland. Wo ist das Klingelschild, wo man die Klingel drückt, wenn man ein solches Anliegen hat? Und diese Unklarheit einer solch klar mandatierten Stelle, da sind Kinderrechte zu Hause sozusagen, die fehlt uns in Deutschland weiterhin.

Also so eine Idee für einen guten Beschwerdemechanismus haben wir noch nicht weiterentwickeln können alle zusammen. Also Zivilgesellschaft, die Nationale Menschenrechtsinstitution und die Politik sind hier alle zusammen gefragt, ein gutes Modell zu entwickeln.

AF: Mit diesen Hausaufgaben würde ich das Gespräch gerne beenden und Ihnen ganz herzlich danken für Ihren Besuch hier in unserem Podcast.

CK: Herzlichen Dank auch für die Einladung.

AF: Vielen Dank auch an das Medienkompetenzzentrum Mitte. Habt ihr, liebe Hörerinnen, noch Fragen oder Wünsche für weitere Themen, die wir in unserer Reihe behandeln sollen? Dann schreibt uns gerne eine Mail.

Wir verlinken euch gerne auch einige Links in den Shownotes. Da findet ihr auch die Links.

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